Der digitale Raum ist aus unserem Alltag nicht mehr weg zu denken – Meetings, Zusammenarbeit im Team, Lernen, Coaching oder einfach, um zu zusammen zu spielen. Digitale Tools und Plattformen sind allgegenwärtig. Aus heutiger Perspektive können wir uns bei manchen Formaten schon gar nicht mehr erklären, weshalb diese früher ausschließlich in Präsenz stattgefunden haben.

Herausforderung informelle Kommunikation im digitalen Raum

Als häufigste, und nicht selten letzte Argumente für die Präsenz werden dann der informelle Austausch und die Beziehungspflege genannt. Allerdings lassen sich persönliche Begegnungen und informelle Kommunikation auch digital sehr gut gestalten. Mit passenden Methoden entstehen in der digitalen Welt sogar persönliche Kontakte und Räume, die in Präsenz gar nicht darstellbar sind.

Auch wir kommen aus dem physischen Raum und sind überzeugt davon, dass dort tolle undunvergessliche Momente geschaffen werden können, die nicht digital ersetzbar sind. Und solche gestalten und begleiten wir auch sehr gerne. Gleichzeitig wissen wir, dass für sehr viele Treffen gilt, dass diese genauso gut (und manchmal sogar besser) im digitalen Raum möglich sind. Darüber hinaus erfordert es die Situation immer häufiger, auch im digitalen Raum wertvolle Begegnungen zu ermöglichen. Auch im digitalen Raum müssen der Zusammenhalt einer Gruppe gestärkt und Beziehungen konsequent gepflegt werden. In verschiedenen Projekten haben wir uns intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt (z.B. gemeinsam mit der Jugendagentur gGmbH im Projekt „DiBs – Digitale Beziehungsarbeit stärken“).

Bewusstes Ankommen, bewusstes Verabschieden

Wer kennt das nicht. Ein Treffen ist auf 09:00 Uhr angesetzt. Um Punkt 09:00 Uhr erscheinen die meisten Teilnehmenden und die Gruppe beginnt nach einer sehr knappen Begrüßung („Guten Morgen. Schön, dass ihr alle da seid. …“) mit der Bearbeitung des ersten Agenda-Punktes („… Ich möchte damit gleich zum ersten Punkt auf unserer Agenda kommen. …“). Die Agenda wird dann bis 09:44 Uhr abgearbeitet. Abschließend werden alle verabschiedet („Vielen Dank für die konzentrierte Mitarbeit. Wenn es keine weiteren Fragen mehr gibt, sehen wir uns wieder zum nächsten Vereinbarten Termin. Einen schönen Tag euch.“). Und nicht selten beginnt bei vielen bereits um 09:45 Uhr der nächste Termin, welcher ungefähr genauso abläuft.

Wir nehmen uns keine Zeit, bewusst anzukommen und wahrzunehmen, wer sich noch im Raum befindet. Uns fehlt der Raum, einer anderen Person (meines Vertrauens) noch schnell beim Ablegen der Jacke vom Vorabend, dem morgendlichen Chaos im Büro oder dem Drama vor der Schule zu erzählen. Genauso fehlt am Ende der Raum, mit einer anderen Person zu teilen, ob das Treffen erfolgreich war, was erfreulich ist oder worüber man sich geärgert hat. Dabei sind beide Phasen, das Ankommen und das Verabschieden wichtige Momente für jeden einzelnen und auch für die Gruppe. Freud und Leid werden geteilt, subjektive Meinungen abgeglichen, Emotionen verarbeitet oder relativiert. Das schweißt eine Gruppe zusammen und die einzelne Person kann sich selbst als Teil von etwas Größerem wahrnehmen.

Begegnung im digitalen Raum gestalten

Für Begegnungen im digitalen Raum müssen Zeitpläne neu gedacht und gestaltet werden:

  • Pre-Meeting-Phase: Meetings beginnen immer fünf Minuten früher – die ankommenden Personen haben so die Möglichkeit, sich bereits in Kleingruppen oder Tandems zu treffen und sich mitzuteilen. Und zwischen Meetings braucht es Zeit, das vergangene abzuschließen und sich auf das nächste vorzubereiten.
  • Centering: Jedes Meeting beginnt mit einer kurzen Einstiegsintervention, in der alle Teilnehmenden aktiv werden und möglichst miteinander in Interaktion kommen. In vielen Fällen ist es sogar möglich, eine solche spielerische Übung bereits als Einstieg in das Thema des Meetings zu nutzen.
  • Zauber der Breakout Sessions: Meetings brauchen immer wieder Phasen, in denen eine Gruppe von mehr als fünf Personen aufgeteilt wird. Sobald nur noch zwei bis vier Personen zusammen in einem Raum sind, kann (ggf. mit etwas Übung) ganz natürliche Kommunikation stattfinden.
  • Als Mensch wahrgenommen werden: Jeder Mensch ist einzigartig, hat seine eigene Geschichte und Wahrnehmung und möchte auch so wahrgenommen werden. Daher ist es wichtig, das auch im digitalen Raum zu ermöglichen. Dafür braucht es manchmal etwas mehr Zeit ohne Agenda-Punkt und Arbeitsauftrag, manchmal ist bereits das Wahrnehmen und Ansprechen von Kleinigkeiten (z.B. Veränderungen im Hintergrund des Videobildes) ausreichend. In beiden Fällen wird Raum geschaffen, ein ganz persönliches Gespräch zu führen.

Zusammengefasst bedeutet das: Beziehungsarbeit im digitalen Raum ist möglich. Während wir im physischen Raum ein gemeinsames kulturelles Verständnis haben, wie beispielsweise eine Kaffeepause ablaufen kann oder wie bereits vor einem Seminar ungezwungene informelle Kommunikation stattfinden kann, müssen wir das im digitalen Raum erst gemeinsam lernen. Es braucht bewusst „Kulturarbeit“, das heißt eine gezielte Gestaltung des digitalen Raum mit der Zielrichtung „Raum für die Menschen und deren Beziehungen“. Es braucht einen bewusst gestalteten „formalen Rahmen für informelle Kommunikation“.

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